Wir müssen wachsam sein

taz: Herr Waßmund, von welchem Brief handelt ihr Stück?
Jörn Waßmund: Von dem Brief, den die behinderte Frieda Fiebinger, die die Nazis 1943 aus Alsterdorf in den österreichischen Steinhof deportierten, an ihre Tante schrieb.
Was berichtet sie?
Dass sie auf der kahlen Erde schlafen müssen, dass sie beschimpft werden, kaum zu essen bekommen und immer schwächer werden. Im Juni 1945 ist Frieda dort entkräftet gestorben.
Ist dieses Thema nicht zu hart für eine Theatergruppe, die aus Behinderten und Nichtbehinderten besteht?
Als ich es vorschlug, um es bei der "Woche des Gedenkens" aufzuführen, war die Gruppe dafür. Alle waren von dem Brief sehr berührt, weil er authentisch ist. Eine geistig behinderte Schauspielerin hat gesagt: Da müssen wir sofort helfen.
Haben alle Schauspieler verstanden, worum es geht?
Die meisten. Bei einigen bin ich nicht sicher, aber sie ahnen etwas. Um deutlich zu machen, dass die Geschichte in der Vergangenheit spielt, haben wir einen Zeit-Schal - einer Zeitleiste ähnlich - einbezogen.
Das Stück ist eine Spurensuche. Worin besteht sie?
Darin, dass eine fiktive Theatergruppe während der Proben eben diesen Brief findet - und dass eine ältere Schauspielerin erfährt, dass ihr Vater als Arzt an der Euthanasie beteiligt war.
Das Fazit des Stücks?
Es sind sehr schlimme Dinge passiert, aber die Täter entstammen einer anderen Generation. Aber sowohl im unmittelbaren Zusammenleben, als auch politisch gilt: Wir müssen - auch wenn sich die Zeiten geändert haben - zusammenhalten und wachsam sein.

taz, 09.2.2013

(PS)