Sprache kann mehr als nüchtern erzählen. Sie kann aufwühlen oder die Seele streicheln.
Und sie kann Räume für Fantasie und Gedanken öffnen, die bisher verschlossen schienen.
"Wir haben schon erstaunliche Weiterentwicklungen im Umgang mit der Sprache festgestellt",
sagt Kulturpädagoge Jörn Waßmund, als am Samstagmittag die erste Schreibwerkstatt in der
Stiftung Eben-Ezer quasi "Halbzeit" hatte.
Von Freitag an bis gestern beschäftigten sich zwölf Bewohner der Stiftung im kirchlichen
Zentrum von Neu-Eben-Ezer mit dem Schreiben. Einzige Voraussetzung zum Mitmachen war die
Neugier auf Sprache. Die hat auch Andreas Pott in die Gruppe gebracht. "Ich wollte wissen,
was dahinter steckt, als ich den Zettel am Aushang gesehen habe", sagt er. "Jetzt macht
es richtig Spaß." Vor sich hat einen großen Bogen Papier liegen, auf dem in der Mitte
das Wort "anfassen" steht. Ringsherum hat Andreas Pott Begriffe geschrieben, die zu
"anfassen" passen. Jetzt bildet er Sätze, geschrieben in Gold und mit schwarzem Stift
hinterlegt. "Es soll ja auch schön aussehen."
Andere kümmern sich weniger um die Form, sondern schreiben einfach eifrig mit dem Bleistift.
"Wir wollen zeigen, wie man mit Sprache spielen kann, welche gestalterischen Ausdrucksmöglichkeiten
es gibt", sagt Seminarleiter Waßmund. Die Teilnehmer sollen ihre Sinne aktivieren, ihren
Wortschatz erweitern und vielleicht erste, kleine Gehversuche in poetische Richtungen unternehmen.
"Die Möglichkeiten sind da natürlich sehr unterschiedlich", weiß Waßmund. "Einige haben schon
häufiger etwas geschrieben, andere haben davor erst noch Hemmungen. Die Herausforderung ist,
für jeden einen Weg zu finden, so dass die Lust an der Sprache nicht durch das Problem gelähmt
wird, wie der Gedanke aufgeschrieben wird." Deshalb boten Waßmund und die begleitenden
Mitarbeiter der Stiftung, Waltraud Gödel und Raimond Urhahn, auch an, sich die Gedanken
der Schreibwerkstadtteilnehmer anzuhören und dann selbst aufzuschreiben.
Die drei Betreuer hoffen, dass die Teilnehmer Manfred Czech, Gudrun Frank, Andre Gemballa,
Sonja Haider, Waltraud Hellmut, Egon Hartwig, Ingeborg Hoffmann, Monika Ochmann, Bernd Polowij,
Andreas Pott, Barbara Schobert und Ute Stüber ihre Lust am Schreiben auch mit in den Alltag
nehmen und sie nutzen, um sich neue Räume für Fantasie und Gedanken zu öffnen.
"Sie sollen wissen, dass es möglich ist, mehr als den Einkaufszettel aufzuschreiben."
Was alles möglich ist, wollen die Mitglieder der Schreibwerkstatt am 5. Mai vorstellen.
Dann veranstaltet die Stadt Lemgo einen Aktionstag zum Grundgesetz, an dessen Programm
sich die Stiftung mit mehreren Aktionen beteiligen will. "Die Bewohner sollen in diesem
Rahmen ihre Gedichte, Erinnerungen, Textgedanken oder kleinen Geschichten selbst vorlesen",
sagt Waltraud Gödel.
Lippische Landes-Zeitung, 29.3.2004
(te)
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